Geschichte der Selbstverteidigung

 


Japanisches Schriftzeichen für Budo

 

Das heute wohl bekannteste japanische Selbstverteidigungssystem ist, neben dem Karate, Judo und Aikido, das Jiu-Jitsu.

Die eigentliche Geschichte der Selbstverteidigung ist aber so alt wie die Menschheit selbst. Sie hat sich aus der uralten wiederholten Erfahrung entwickelt, daß ein Unbewaffneter von einem Stärkeren und womöglich sogar Bewaffneten angegriffen wurde. Intelligenz im Nachgeben, Ausweichen, körperliche Wendigkeit, die Fähigkeit, eine geheime Blöße oder Schwäche des Angreifers spontan zu erkennen und zu seinem Vorteil auszunützen - dies alles hatte der Ungeschützte dem Starken entgegenzuhalten. List und Wendigkeit gegen rohe Gewalt!

Im gleichen Maße, wie sich der Geist des Menschen entwickelte, wie sich sein Verstand, seine Fähigkeit logisch und vernünftig zu denken, ausbildete und differenzierte, dürften auch die Tricks, die Kunstgriffe entstanden sein, deren sich körperlich schwächere Menschen bedienten, um stärkere zu überlisten und zu besiegen. Diese Tricks wurden oft zu einem System zusammengefaßt und von einem bestimmten Personenkreis gepflegt, der diese Kenntnisse meist streng geheim hielt.

Schon aus der griechischen Antike kennen wir die Kunst des Faustkampfes, das Ringen und den Pankration, den schrecklichen Allkampf, in dem alles erlaubt war, eine Art antiken "Catch as catch can".

Fast in allen Ländern wurden solche Kampfsysteme geschaffen, von denen viele wieder in Vergessenheit gerieten, oder aber, oft nur im geheimen, bis zum heutigen Tag überliefert wurden.

Wenig bekannt ist in diesem Zusammenhang, daß im Mittelalter die Ringkunst bei uns in Deutschland in hoher Blüte stand. Sie wurde in den Fechtschulen als Zweig der Fechtkunst unter dem Namen "Deutsches Freiringen" gelehrt. Wenn das Schwert beim Kampf aus der Hand geschlagen wurde, mußte ohne Waffen weitergekämpft werden. Zu diesem Zweck wurden in dem kriegerischen, also keineswegs sportlichen "Freiringen" eine Menge von Finten, Tricks, Hieben und Schlägen gelehrt, die in der Technik oft eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem alten japanischen Jiu-Jitsu erkennen lassen.

Die bekanntesten Überlieferungen aus jener Zeit sind die im Jahre 1512 verfaßte Fechthandschrift von Albrecht Dürer, die 17 mit Wasserfarbe kolorierte Federzeichnungen enthält und die im Jahre 1539 erschienene Ringerkunst des Fabian von Auerswald, die aus der Lukas-Cranach-Schule stammt und künstlerisch sehr wertvolle Darstellungen enthält.

Der Holländer Nikolaus Petter gab dann im Jahre 1674 ein Buch in deutscher Sprache heraus. "Der künstliche Ringer". Er sagte dazu im Untertitel "darauß sey zu lernen, wie man sich bey allerhand vorfallenden Schlägereyen fürsichtig beschützen, alle unredlichen Anfälle, Stöße, Schläge und dergleichen Angriffe mit geschwinder Fertigkeit abkehren, und seinem boshaften Ansprenger Kunstgeschicklich begegnen könne". Das Buch enthält 71 Abbildungen und war praktisch das erste Selbstverteidigungsbuch für jedermann.

Mit der Entwicklung der modernen Waffentechnik gerieten die Nahkampfkniffe aber bei uns in Vergessenheit und wurden nicht mehr gelehrt. Nur in Ländern, in denen die Waffentechnik kaum voranschritt, lebten solche Systeme weiter. Hier ist vor allem Japan zu nennen, in dem sich unter chinesischem Einfluß verschiedene Nahkampfsysteme gebildet hatten, deren bekannteste das sog. Gawasa, Toride, Kogusoku, Kumiuchi, Shubaku, Tai-Jutsu, Kenpo und Hakuda waren. Sie waren sich in ihrem Wesen, abgesehen von kleinen Unterschieden, fast gleich und sie hatten auch (wie das Deutsche "Freiringen") dasselbe Ziel: im Nahkampf den Gegner kampfunfähig machen oder zu töten.

Die japanischen Ritter (Samurai) wurden in diesen Künsten (Sammelname für alle: Jiu-Jitsu) ausgebildet, bis es den Amerikanern durch die Entsendung eines Geschwaders unter Kommodore Perry 1853/54 gelang, das bis dahin für den abendländischen Einfluß völlig abgeschlossene Land zu öffnen.

In der Folgezeit stürzten sich die Japaner begierig auf alles Westliche; sie wollten lernen und vergaßen, ja verachteten dadurch sogar ihre eigene Tradition. So geriet auch da noch von vielen Schulen gelehrte Jiu-Jitsu in Vergessenheit.

Wenig bekannt ist es nun, daß es ein Deutscher war, nämlich der aus Bietigheim stammende Prof. Dr. Erwin Bälz, der den Anstoß zur Renaissance des Jiu-Jitsu gab. Er war von 1876-1902 Professor an der Kaiserlichen Universität in Tokio und beobachtete mit Sorge den schlechten Gesundheitszustand seiner Studenten, die nur möglichst viel lernen wollten und darüber die Ausbildung ihrer Körpers vergaßen.

Da machte er zufällig in der Provinzhauptstadt Tschiba die Bekanntschaft mit einem alten Lehrer des Jiu-Jitsu, Totsuka, der die Polizisten der Stadt in dieser Kunst unterrichtete. Bälz sah Dutzende von Wettkämpfen, und die Leistungen waren so erstaunlich, daß er sich sagte, das wäre eine wertvolle Gymnastik für seine Studenten. Er selbst unterwarf sich einem eifrigen Training und ging mit gutem Beispiel voran. Einer seiner Studenten, Jigoro Kano, der später ein bekannter Gelehrter wurde, erkannte ebenfalls den Wert dieser alten Kampfmethoden für die körperlichen und geistigen Erziehungen. Kano machte sich auch auf dem Gebiet der anderen Sportarten verdient, wurde Vorsitzender des Japanischen Sportbundes und des Nationalen Olympischen Komitees.

Zunächst studierte er aber alle damals gelehrten System und suchte sich hier einzelnen Elemente heraus. Das, was er begründete, nannte er im Unterschied zum alten Jiu-Jitsu "Judo", das bedeutete, daß er nicht nur reine Technik lehren wollte, sondern daß es ihm um die Ausbildung des inneren Menschen ging. Judo heißt "der Weg, durch Nachgeben zu siegen". Er stellt es auf eine höhere Ebene als die alte Kriegskunst des Jiu-Jitsu. Die rein technische Kunst (JITSU) wich einer ethischen Lehre (DO), auf deren Grundsätzen Professor Kano größten Wert legte.

 
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